Alles Vintage – was macht alte Drums so gut?

Neulich erhielt ich diese E-Mail, und ich dachte, dass dies ein sehr interessantes Thema ist, das ich gerne ansprechen möchte:

Moin Stefan,
ich war Samstag auf einem Musikerflohmarkt, und da war ein Typ, der alte Schlagzeuge wieder instand setzt und sagt, dass die alten 30-50 Jahre alten Holzkessel besser klingen, weil sie richtig durchgetrocknet sind, ähnlich wie bei den Vintage-Gitarren von Fender, Gibson und Gretsch.
Was denkst du darüber?
Gibt es Vorteile von alten 30-50 Jahre alten Schichtholzkesseln im Vergleich zu neuen Holzkesseln, abgesehen davon, dass sie damals in Deutschland und Japan hergestellt wurden und nicht in China?

Sonnige Grüße, Klaus

Die Annahme, dass „durchgetrocknetes Holz“ Vorteile bei Schlagzeugen bietet, würde ich eher als Mythos einstufen. Der Verweis auf Gitarren macht deutlich: Hier geht es nicht um das Alter des Holzes – man kann auch neue Instrumente aus 50 Jahre altem Holz herstellen, da oft das Holz bereits Jahrzehnte vor dem Bau gelagert wurde -, sondern um die Tatsache, dass sich bei Vollholzdecken diese „einschwingen“, d.h., sie werden durch regelmäßiges Spielen ständig in Schwingung versetzt, was den Klang beeinflusst. Das ist eine laienhafte Beschreibung, da ich nicht genau weiß, wie dieser Prozess vonstattengeht, und es wohl eher eine Vermutung als eine genaue Wissenschaft ist (in Blindtests mit echten Stradivaris und künstlich gealtertem Holz konnten die Zuhörer die Stradivari nicht mehr eindeutig identifizieren und bevorzugten die neuen Geigen –Link)

Wie auch immer die Theorie lautet, sie schließt definitiv Sperrholzdecken aus.

Nun haben wir bei Schlagzeugen das Problem, dass wir nicht die Decke, sondern den Korpus bauen. Der Korpus schwingt nicht, und er besteht aus Schichtholz. Diese Erklärung funktioniert hier also nicht.

Moderne Snare Drum mit „Vintage Kessel“ – dampfgebogenes Walnuss Holz mit Verstärkungsringen.

Es kann jedoch durchaus sein, dass ältere Instrumente besser klingen als heutige, aber das kann verschiedene Gründe haben. Der allererste Grund ist wohl, dass Schlagzeuge heute anders gebaut werden als noch in den 50ern. Mit dem Beginn der Beat-Ära begann auch die Massenproduktion von Schlagzeugsets, was zu komplett anderen Produktionsmethoden und Kesselaufbauten führte. Vorher wurde das Holz dreilagig verleimt und dann um einen Verstärkungsring gerollt, ähnlich wie beim Gitarrenbau, während man Mitte/Ende der 60er Jahre fast vollständig auf industrielle Fertigung mit Kessel- bzw Zargenpressen umstellte. Der Begriff „Kessel“ ist eigentlich unpassend für das, was wir beim Schlagzeug finden: Pauken haben Kessel, Schlagzeuge haben Zargen. Kessel haben immer einen Boden; wenn er kein Wasser halten kann, ist es eine Zarge. Leider hat sich beim Schlagzeug der Begriff „Kessel“ eingebürgert, obwohl wir eigentlich wissen sollten, dass das falsch ist, da wir für den Wasserkessel denselben Begriff verwenden. Leider, denn dadurch werden oft Eigenschaften, die einem Kessel eigen sind, fälschlicherweise auch auf eine Zarge übertragen, obwohl sie musikalisch eine völlig andere Funktion und Physik haben.

Man muss also genauer hinsehen, warum man meint, dass ältere Schlagzeuge besser klingen. Ich würde das nicht pauschal bestätigen, sondern nach äußeren Merkmalen suchen: In der Zeit vor ’64 gab es keine Marshall-Verstärker auf den Bühnen, die übertönt werden mussten; Schlagzeugsets wurden als akustische Instrumente für den Raum gebaut, nicht halbakustisch für die Verstärkung. Heute werden Schlagzeuge jedoch hauptsächlich für Mikrofone gebaut; das Synonym für Schlagzeug ist „laut“, was bereits darauf hinweist, dass es nicht gut klingt (wir definieren Lautstärke nicht anhand von Schalldruck, sondern Klang; einen unausgewogenen, unangenehmen Klang empfinden wir als laut). Die Lautstärke der Trommeln kam nicht von ungefähr. Ich habe dazu bereits einen längeren Artikel verfasst, zusammen mit Wayne Blanchard, A&R bei Sabian seit den 80ern, der mit Künstlern wie Mike Portnoy und Phil Collins gearbeitet hat und die 60er Jahre noch live erlebt hat:

https://www.lowvolumedrumming.org/how-did-drumming-get-so-damned-loud/ (derzeit nur auf Englisch, aber leicht mit deepl.com übersetzbar, wenn der Browser das nicht automatisch macht…)

 

Das Recording-Setup bei den Aufnahmen für das Debütalbum von Royal Blood. Dank eines akustisch optimierten Schlagzeugs wurde das Set fast ausschließlich mit dem Raummikrofon aufgenommen. Dank warmer Stimmung können so auch die tiefen Obertöne eingefangen werden, die beim Close-Miking nicht erfasst werden.

Die großen Schlagzeuge, wie wir sie von den Jazzbands der 60er kennen, waren bereits vor der Verstärkung auf Lautstärke ausgerichtet, da eine Bläserbigband verdammt laut sein kann. Normale Schlagzeugsets hatten jedoch in der Regel kleinere Größen, eine 18-20-Zoll-Bassdrum, recht flache, kleine 10- oder 12-Zoll-Snares und oft Bongos anstelle von Toms. Auch die Spielweise (traditioneller Griff) trug dazu bei, dass diese Schlagzeuge wesentlich angenehmer klangen als ihre modernen Pendants. Dies wurde durch die Verwendung von Kalbfellen, kleinere Korpusgrößen und dünnere Korpusse erreicht (die Verstärkungsringe waren technisch notwendig und nicht entscheidend – bei modernen Schlagzeugen sind sie aufgrund der völlig anderen Bauweise überflüssig und führen nicht zu dem gewünschten Ergebnis, da sie nicht den Klang des Korpus so warm machen…). Zwar führte bereits die Einführung von Kunststofffellen zu einem deutlich lauteren Spiel der Schlagzeuger, aber mit der Beat-Ära begann auch eine Zeit, in der Schlagzeuger häufiger ohne traditionelle Ausbildung in ihrer Spieltechnik einfach losspielten und dabei von großen, lauten Trommeln angezogen wurden. Schlagzeuge, die auf klangliche Qualität optimiert sind, wurden von ihnen gemieden, und heute finden sie kaum noch ihren Weg in den Handel. Stattdessen wurde zur Gewohnheit, dass jede Trommel einzeln mit mindestens einem Mikrofon abgenommen und verstärkt wird, egal wie klein die Veranstaltung ist. Schließlich war der Motor der Beat-Ära und der folgenden Zeit die Rockmusik, was bedeutete, dass elektrisch verstärkte Musik populär wurde. Der Klang wurde dadurch flexibler („fix it in the mix“), und Ausgewogenheit war nicht mehr notwendig. Dass das Schlagzeug – eigentlich ein akustisches Instrument – zu einem halbakustischen Instrument mutierte, fällt meist nur den Schlagzeugern auf, die viel akustisch spielen, und dann oft ohne zu wissen warum, auf Instrumenten spielen, die vor den 60ern gebaut wurden. Eigentlich sollten heutige Schlagzeuge, wie es bei halbakustischen Instrumenten üblich ist, mit einem eigenen Abnahmesystem geliefert werden, aber das hat sich nicht durchgesetzt ($$$ – warum sollte man Mikrofone mitbezahlen, wenn sie in der Veranstaltung sowieso bereitgestellt werden?!)

Nun weißt du, warum. Nein, es liegt nicht am Holz. Aber ja, solche Schlagzeuge können, wenn sie gut in Schuss sind, sehr gut klingen.

Dies ist quasi das Fachgebiet von Adoro, da sie ebenfalls Schlagzeuge für den akustischen Einsatz bauen, und die obige Erklärung muss normalerweise vorangestellt werden, um zu erklären, was der Unterschied zu normalen Schlagzeugen ist. Denn dass Schlagzeuge heute quasi halbakustische Sets ohne Abnahmesystem sind, weiß fast niemand.

Der Vorteil echter akustischer Schlagzeuge ist übrigens, dass sie mit jedem guten Mikrofon gut klingen und wenig Erfahrung bei der Abnahme erfordern – ein gutes akustisches Instrument kann man mit einem guten Kondensatormikrofon abnehmen, mit möglichst großem Abstand (mindestens 30 cm, besser 1-2 m), dann klingen sie voller, und mit neutraler EQ-Einstellung (ursprünglich nur zum Entzerren gedacht, um den akustischen Klang möglichst verlustfrei reproduzieren zu können). Und man benötigt auch keine speziell für Schlagzeuge präparierten Räume. Es ist seltsam, dass „normale“ Schlagzeuge für eine Abnahme nur in teuren Studios gut klingen, mit einem speziell für Schlagzeug ausgelegten Raum, mit speziellen Schlagzeugmikrofonen und isoliert von allen anderen Instrumenten.

Wer das nicht will, greift zu Vintage-Schlagzeugen oder kauft ein Adoro-Set 🙂